Rasha Abbas
Die Erfindung der deutschen Grammatik
Geschichten
Die Geschichten der jungen syrischen Autorin Rasha Abbas sind eine selbstironische Persiflage des Ankommens in Deutschland und in der deutschen Grammatik, voller popkultureller Referenzen. Witzig, abgedreht und oft ziemlich surreal.
4,99 € – 14,99 €
„Ein modernes Narrenschiff.“
Oliver Jungen, FAZ
„Humorvoller Bericht über das Neusein in Deutschland. Rasha Abbas erzählt, schmückt aus, führt den Leser in ihr Berlin und schickt ihn nicht selten wieder raus, in bunte Fantasiewelten.“
Julia Schlager, Deutschlandradio Kultur
„Erfrischend grotesk. Es kostet Kraft, Menschen, Dingen und Situationen ihre manchmal unerklärliche Heiterkeit des Seins abzugewinnen. Beides schafft Rasha Abbas.“
Tania Folaji, Elektro vs. print
„Gelungenes Komödiendebüt. Und es gibt eine Geschichte, die so komisch ist, dass sie einem Tränen in die Augen treibt.“
Sophie Elmenthaler, der Freitag
„Ihre Geschichten über den deutschen Alltag (sind) vor allem eins: witzig. Rasha Abbas treibt all das Abwegige, dem sie begegnete, in ihren Geschichten noch tiefer ins Absurde. Komik als Survival-Strategie.“
Carolin Haentjes, Tagesspiegel
„Ein Buch für Leute, die Ironie lieben und davon nicht genug kriegen können.“
Radio M 94,5
„Ich habe das eBook während der Bahnfahrt ins Büro gelesen und dabei nahezu ununterbrochen kichert und ein- bis zweimal laut aufgelacht. Es war eine meiner witzigsten Bahnfahrten.“
Kerstin Scheuer, Blog
„Rasha Abbas erkundet sehr vergnüglich die Tücken der deutschen Grammatik.“
Thorsten Glotzmann, Süddeutsche Zeitung
„Mit feinem Gespür deckt Abbas die reale Absurdität kleiner Alltagsmomente auf – mit riesiger Fabulierlust steigert sie den Irrsinn ins Fantastisch-Unermessliche.“
Blog Filigranes Geflecht
„Rasha Abbas schafft es, den Alltag vieler Flüchtlinge zwischen Lageso, Jobcenter und Integrationskurs humorvoll unter die Lupe zu nehmen.“
Edition F
„Eclectic, intense, often psychedelic, many of her stories are dreamscapes which creep up on the reader with sudden plunges into haunting hyper-realism, operating within a punk aesthetic.“
Alice Guthrie, Reader’s Report for And other Stories
Alle Termine und Presseschau mit Rasha Abbas unter diesem Link: http://mikrotext.de/tag/rasha-abbas/
Inhalt: Die Erfindung der deutschen Grammatik
Kennen Sie schon den deutschen Superhelden, der vor jeder seiner Superaktionen unzählige Unterlagen einreichen muss? Oder den Sonnenorgasmus? Oder den Vermieter Herrn Müller, dessen abgelegene Berliner Wohnung die Mieterin schneller erreicht, wenn sie auf eine Elefantenherde umsteigt?
In Rasha Abbas’ Kurzgeschichten trifft der Alltagstrott auf Absurdistan. Ähnlich wie Mark Twain in seinem Essay „The Awful German Language“ nähert sich Rasha Abbas der verflixten deutschen Grammatik und Sprache und allen anderen deutschen Strukturen mit Humor und Verzweiflung. Sie verwebt die stinknormalen Erfahrungen des Einlebens in Berlin beim Asylantrag, im Jobcenter, beim Sprachkurs, zwischen Künstler-Inflation und Hipster-Invasion gekonnt mit anderen Genres: Slapstick, Zombiefilm, Cartoon, Computerspiel. Bewaffnet mit einer Narrenkappe erzählt sie die Wahrheit über „uns Deutsche“, aber auch über „die Flüchtlinge“.
Wir verstehen endlich, warum die deutsche Sprache so schwierig ist und wie Videogames bei der Ausländerbehörde helfen können.
Die Produktion dieses E-Books wurde ermöglicht mit Förderung der Heinrich-Böll-Stiftung.
Wie der Versuch, einen deutschen Superhelden zu erschaffen, scheiterte
Es gab eine Sache, die ich mir beim besten Willen nicht erklären konnte: dass bis heute niemand einen berühmten deutschen Superhelden erschaffen hat. Mit Superheld meine ich natürlich das Gängige, so etwas wie Superman & Co., also einen Mann, der eine Unterhose über einer Leggings trägt und gegen Bösewichte kämpft.
Ich fand, dass diese Mammutaufgabe nicht länger warten konnte, und nahm die Sache selbst in die Hand. Ich wollte dem Land, das mich aufgenommen hatte, etwas zurückgeben. Es war mir unverständlich, warum meine Mitmenschen meiner Begeisterung für diese Idee fast so etwas wie Mitleid entgegenbrachten. Sie sagten mir, ich könne ja ruhig anfangen, schon einmal das erste Abenteuer jenes Superhelden zu schreiben, solle mich dann aber nicht wundern, falls „der hiesige Lebensstil“ die Handlung eventuell ein wenig behinderte.
Was sollte das denn bitte heißen. Superhelden haben alle den gleichen Lebensstil: Sie retten Unschuldigen das Leben und lassen sich dabei von nichts aufhalten.
Es fiel mir nicht schwer, die Figur zu entwerfen. Bald schon hatte ich eine erste Skizze des deutschen Helden gezeichnet: mit breitem Kinn und makellos blondem Haar. Ich nannte ihn Jan, denn dies war der erste deutsche Name, den ich mir gemerkt hatte. Und siehe da, es war auch der perfekte Zeitpunkt für seinen ersten Einsatz, denn gerade war eine Bande von Straßenflegeln dabei, einer Dame auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Handtasche zu stehlen. Jan jedoch blieb störrisch auf seiner Straßenseite stehen und weigerte sich, zum Tatort zu eilen.
Aber Jan, was hindert dich denn?
Er begnügte sich damit, mir einen verächtlichen Blick zuzuwerfen und mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Fußgängerampel zu zeigen, die rot war. Ja, aber Jan! Ist es denn sinnvoll, dass du jetzt hier solange wartest, bis die Ampel grün wird? Die Bande hatte es mittlerweile geschafft, sich die Handtasche zu schnappen, einer von ihnen hatte sich des Lippenstifts darin bemächtigt und sich die Lippen geschminkt, ein paar Ohrringe herausgenommen, sich an die Ohren gesteckt und ein Selfie geschossen, während die Dame weinend am Boden lag.
Jan erwiderte nichts. Er verschränkte die Arme fest vor der Brust und verweigerte jeglichen Kommentar. Bis die Ampel schließlich grün wurde. Inzwischen hatte sich die Band längst aus dem Staub gemacht, und es gab nicht mehr viel für Jan zu tun, außer der Dame wieder aufzuhelfen und sie zur nächsten Polizeistation zu begleiten.
Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.
Als Jan niedergeschlagen von seinem missglückten Abenteuer heimkehrte, versuchte ich, ihn wieder aufzubauen, indem ich ihm dieses Sprichwort in eine Sprechblase schrieb. Aber Jan blies sie weit von sich fort. Die einzige Möglichkeit, ihn zu motivieren, war eine erfolgreiche Heldentat. Nur so konnte ich ihm glaubhaft machen, dass er für diese Art Leben geschaffen war. Ich beeilte mich, ein Quadrat zu zeichnen, worin sich das Kundenservice-Center einer Bank befand. Dann fügte ich einen maskierten Bankräuber hinzu, der eine Bankangestellte mit einer Pistole bedrohte. Zum Glück stand Jan diesmal keine Ampel im Weg, denn ich hatte ihn direkt vor einer Fußgängerunterführung platziert. Es gab also nichts, was ihn hindern konnte, wie ein Turmfalke zur Bankfiliale zu stürzen und den Überfall zu verhindern. Gespannt hielt ich den Atem an und wartete, was passieren würde, während ich beobachtete, wie Jan in das Bankgebäude stürmte und den Dieb fest am Kragen packte. Plötzlich wurde die Szene von einer Bankangestellen unterbrochen, die mit einem Stift und einem Stapel Unterlagen an den Schalter kam. Zu Jan gewandt sagte sie:
„Guten Tag, entschuldigen Sie die Störung: Sie sind sicher der Herr, den man beauftragt hat, die Bankfiliale vor dem Überfall zu retten, richtig?“
„Ja, der bin ich.“
„Haben Sie denn auch eine Bankrettungsgenehmigung?“ „Nein, was soll das überhaupt sein?“
„Kein Problem. Ich bräuchte nur schnell ein paar Informationen von Ihnen. Dann lasse ich Sie auch gleich wieder zur Tat schreiten.“
„Natürlich.“
„Könnten Sie bitte dieses Formular ausfüllen? Ich brauche Ihren Vor- und Nachnamen und bitte hier auch die Postleitzahl.“
Jan hängte den Einbrecher an einen Kleiderständer und schrieb die Informationen in das Formular. Dann gab er es der Dame hinter dem Schalter wieder und wollte gerade den Einbrecher vom Haken nehmen.
„Oh, Verzeihung, es gäbe doch noch ein paar Dinge. Dürfte ich mir eine Kopie von Ihrer Anmeldebescheinigung machen?“
Jan zog das Papier aus der Brusttasche seines Superheldenanzugs und überreichte es der Angestellten, die damit für einige Minuten verschwand. Als sie wieder da war, sagte sie:
„Vielen Dank. Hier haben Sie Ihre Anmeldung wieder, und jetzt noch eine allerletzte Sache: Sie müssten mir noch Ihre Steuernummer geben. Und Ihre Rentenversicherungsnummer bräuchte ich auch noch. Dann lass’ ich Sie auch wirklich ungehindert zurück an Ihre Arbeit, versprochen.“
Jan zog wieder Unterlagen hervor, die er der Bankangestellten übergab. Während sie die Daten in das Formular eintrug, nutzte er die Gelegenheit, einen verstohlenen Blick auf den Kleiderständer zu werfen. Der war jetzt leer.
Schließlich kam die Bankangestellte zurück und gab ihm das gestempelte Formular:
„Vielen Dank für Ihre Mitarbeit, Herr Jan. Mit dieser von uns beglaubigten Genehmigung haben Sie jetzt komplette Bewegungsfreiheit bei der Rettung unserer Bank vor dem Überfall.“
Bevor sie wegging, drehte sie sich noch einmal zu ihm um und sagte mit einem Lächeln: „Ich habe mich persönlich dafür eingesetzt, dass Sie eine bessere Bankschutzgenehmigung bekommen. Das ursprüngliche Formular, das wir hier in der Filiale hatten, hätte Sie nämlich nur berechtigt, die Hauptfiliale zu retten, und das auch nur innerhalb der nächsten drei Monate. Dann habe ich ein wenig Druck auf die Kollegen ausgeübt, dass sie die Genehmigung doch bitte auf alle Filialen erweitern mögen. Ja, und jetzt ist sie ganze sechs Monate gültig. Ab jetzt wird Ihr Briefkasten zugespamt – Pardon! –, will sagen, durch die regelmäßige Post, die wir ab jetzt an Ihre Adresse schicken werden, haben Sie die einmalige Chance, all unsere Angebote und Sonderaktionen im Detail mitzuverfolgen.“
Jan reagierte auf keinen meiner Versuche, mit ihm zu kommunizieren, während er wütend, die Fäuste in den Hosentaschen seiner Leggings geballt, davonstapfte. Es war offensichtlich: Die Sache war für ihn ein für allemal erledigt. Ab heute würde er nicht mehr Teil des Projekts sein wollen.
Ich sah ihm hinterher, wie er lief und lief, bis er an der U-Bahnhaltestelle ankam, von der aus er nach Hause fahren würde, und dachte bei mir, dass dies wohl das letzte Mal war, dass ich ihn sah. Ich war kurz davor, das Handtuch zu schmeißen, als mir plötzlich eine letzte Idee kam, die mein Projekt vielleicht doch noch würde retten können. Schnell stellte ich drei böse Jungs vor den Eingang zur U-Bahn, die sofort einem Kleinkind die Schokolade aus der Hand rissen. Das Kind fing an zu weinen, während die Bande mit der Beute floh. Diesem Ruf würde Jan unmöglich widerstehen können, gibt es doch nichts, was das Gerechtigkeitsempfinden eines Menschen so in Wallung bringen kann, wie die zarte Unschuld der Kindheit. Tatsächlich war Jan gleich Feuer und Flamme und begann, der Bande hinterherzurennen. Doch, Moment, was geschah jetzt? Wieso blieb er plötzlich stehen? Die Bande sprang mit einem Satz in die gleich abfahrende U-Bahn. Währenddessen versuchte Jan nervös, Münzen in den Fahrkartenautomaten zu stecken. Das hatte ich nicht bedacht. Natürlich würde Jan nicht akzeptieren, Bösewichte in einem U-Bahn-Waggon zu verfolgen, ohne selbst vorher eine Fahrkarte entwertet zu haben. Doch bis er die Karte aus dem Automaten gezogen und abgestempelt hatte, war die U-Bahn mitsamt der Bande längst abgefahren und hatte Jan zurückgelassen, wie er, seine Fahrkarte in der Hand, verwirrt dem Zug hinterherblickte, während im Hintergrund weiter das Weinen des bestohlenen Kindes zu hören war.
(…)