Undine Materni
Vom Folgen und Bleiben
Erzählungen
Endlich alle Erzählungen der Dresdner Autorin Undine Materni in einem Buch versammelt: Vom Folgen und Bleiben verknüpft vier Generationen in Ostdeutschland miteinander in der Frage, wie man als Frau in der Gesellschaft, die einen umgibt, ist, existiert, sich entwickelt. Eine Suchbewegung durch die Zeit.
8,99 € – 18,00 €
„Vier Geschichten: drei Frauen – Großmutter, Mutter, Tochter – und ein Enkelkind. Vier Generationen vor dem Hintergrund von hundert Jahren deutscher Geschichte, das ist Vom Folgen und Bleiben, jüngster Band der Dresdner Autorin Undine Materni. Veröffentlicht hat sie diese Texte vor Jahren schon, doch einzeln oder verstreut. Aber erst hier, aufeinanderfolgend, entfalten sie ihre erzählerische Kraft, als gehörten sie von Anfang an zusammen.“
Tomas Gärtner, Dresdner Neueste Nachrichten
„Undine Maternis Geschichten sind sprachlich bemerkenswert und treten heraus aus der Menge der Bücher, die es ja durchaus zu diesem Themenkreis schon gibt. Hier ist die Sprache die brillante Hauptdarstellerin. Eine unbedingte Empfehlung für dieses hosentaschenkleine Bändchen!“ Literaturerleuchtet
„Die Generationenfolge ist das zentrale Thema dieser kleinen Geschichtensammlung von Undine Materni. Die eine Generation prägt die nächste. … Undine Materni hat eine ungemein kreative Sprache und ist eine ungemein genaue Beobachterin und manchmal hat sie einen bitterbösen Humor, in dem sie die Abgründe beschreibt. Ich hab diese kurzen Erzählungen wahnsinnig gerne gelesen und das ist eine ganz große Empfehlung, diese Schriftstellerin zu entdecken und natürlich auch ihre Lyrik.“
Stephanie von Oppen, Deutschlandfunk Kultur / Lesart
„Nachdem mit den Erzählungen Friedas Himmelfahrt und Wieder ein Tag ohne Krieg zwei Texte der 1963 in Sangerhausen geborenen und seit Jahrzehnten in Dresden lebenden Autorin Undine Materni vor einiger Zeit bei mikrotext als E-Books erschienen sind, legt der Verlag nun unter dem Titel Vom Folgen und Bleiben eine Buchausgabe vor, die neben den beiden Erzählungen zwei weitere Texte enthält: Sonnenblumen auf blauem Grund und Flugzeuge. Alle vier sind autobiografisch thematisch miteinander verzahnt und erzählen von Frauenschicksalen verschiedener Generationen.“
Jens Wonneberger, SAX, Dresdner Stadtmagazin
„Fesselnd, jetzt bloß nicht stören. Ich lese: Die in Dresden lebende, aus Sangerhausen stammende Undine Materni ist als Lyrikerin bekannt. Nun liegt ein Band mit poetischen Erzählungen vor: ,Manche Leben gehen fast unbemerkt vorüber‘, schreibt Materni. Sie schaut hin.“
Andreas Montag, Mitteldeutsche Zeitung
„Undine Materni war in ihrem Leben Sportlerin, Chemikerin, Kellnerin, Wirtin, Herausgeberin. Doch vor allem ist sie eine Schriftstellerin, die Aufmerksamkeit verdient.“
Joachim Scholl, Deutschlandfunk Lesart
„Wie lässt sich eine Sprache finden, um einem Leben gerecht zu werden? Wo die meisten von uns vergeblich darum ringen, benötigt Undine Materni nur eine Gardine, den Geruch von Weichspüler und die Erinnerung an Heringe, um ein ganzes Leben in all seiner Einzigartigkeit sichtbar zu machen.“
Christine Koschmieder
Inhalt: Familie
Vier Erzählungen darüber, wie Generationen zusammenhängen: Da sind die aus Schlesien nach Ostdeutschland geflohenen Großeltern mit ihrem prächtigen Garten und dem Pastorenhaushalt, die sich mit kleinen Gesten bei ihrer harten Arbeit beiseitestehen. Da ist die Mutter, die in der für Alleinstehende harten Gesellschaft verbittert. Die Tochter geht mit ihrem eigenen starken Willen weiter, und schließlich kommt ein Kind, das wieder vieles aufwühlt, aber auch Platz macht für Neues.
Die Erzählungen sind auch einzeln als E-Book-Singles erhätlich:
Friedas Himmelfahrt
Wieder ein Tag ohne Krieg
Sonnenblumen auf blauem Grund
So geht also Erwachsenwerden, denkt die Frau, alles wird kleiner. Sie sieht den Jungen neben sich an, seine Gestalt wirkt jedoch wie immer.
Den Weg zur Siedlung im Süden wünscht sich die Frau lang, doch ahnt sie, dass auch er von dem Kleinerwerden nicht ausgenommen sein wird. In dieser Stadt gibt es keine Katzen, vielleicht weiß ich deshalb so wenig über ihr Frohsein. Der Junge zieht seinen gelben Teddybären aus dem Rucksack. So sieht es hier aus, Theo, sagt er zu ihm.
Sie haben die Siedlung erreicht. Zum Haus der Mutter führt ein schmaler Weg einen Berg hinauf. Der Name der Straße, in der das Haus steht, wurde schon ausgetauscht. Den neuen hatte sie aber schon wieder vergessen. Also sagt sie zu dem Jungen: Das ist die Leninstraße. Das ist, sagt der Junge zum Bären: Theo, die Leninstraße.
Wieder etwas, was nicht stimmt, denkt sie, wie mit den Katzen, aber hier gab es nie Katzen, als ich klein war und die Straße so hieß. Aber jetzt ist es noch immer dieselbe Straße, die aber anders heißt und die Halstücher von den Hälsen sind ebenso verschwunden wie das Immerbereit mit Ausrufezeichen. Hinter dem Haus der Mutter steht noch immer die Schule, in die sie und ihre Schwester gegangen waren. Dort lernen die Kinder noch immer etwas über Dreiecke und Kreise.
Die Halstücher waren auch einmal ausgewechselt worden, plötzlich waren sie rot und schmolzen unter dem Bügeleisen. Die anderen waren blau gewesen und schmolzen nicht und wurden von den Müttern gebügelt, ehe sie um die Hälse geknotet wurden, aus denen das Immerbereit mit Ausrufezeichen kroch.
Einmal hatte die Frau sich selbst am Bügeln versucht und hielt plötzlich nur noch die Hälfte des roten Stoffdreiecks in der Hand. Erschrocken stellte sie das heiße Bügeleisen in den Kleiderschrank zurück und schmolz dabei riesige Löcher in die Kittelschürzen der Mutter. Fast wäre der Schrank abgebrannt, als sie unterwegs war, um ein neues Stoffdreieck zu kaufen. Die Treppen runter, zwei Mark aus dem Sparschwein in der Faust, war sie den Weg hinuntergerannt, den sie jetzt mit dem Jungen hinaufläuft, das Wort Leninstraße auf der Zunge balancierend, so als
dürfe es nicht noch einmal aus ihrem Mund fallen. Aus dem Mund des Jungen klingt er wie der Name seines Teddybären – freundlich und gelb.