Elfi Conrad
Schneeflocken wie Feuer
Roman
Während eines Klassentreffens holen Erinnerungen die fast 80-jährige Dora ein, an ihr 17-jähriges Ich, das wagte, dem eigenen Begehren nachzugehen: den von Rockmusik begeisterten Musiklehrer zum Tanz aufzufordern und mit ihm gesellschaftliche Tabus zu durchbrechen.
13,99 € – 26,00 €
SWR-Bestenliste Platz 1 im September 2023
NDR Buch des Monats im Juni 2023
„Diese junge Frau versucht als Schülerin, ihren nur wenige Jahre älteren Lehrer zu verführen. Er ist Ende Zwanzig. Und es gelingt ihr auch. … Wie eng und wie miefig dieses Deutschland Anfang der 1960er Jahre war, und wieviel noch von den Ressentiments und Vorurteilen aus der Nazizeit da war, das vermag Elfi Conrad mit ihrem Roman wirklich anschaulich zu erzählen. Und wissen Sie, Bücher sind ja auch eigentlich die einzig funktionierenden Zeitmaschinen, die wir haben. Mit diesem Roman kann man sich in die damalige Zeit einfühlen und das würdigen und preisen, was wir in den vergangenen sechzig Jahren erreicht haben.“
Denis Scheck, ARD Literaturbühne Frankfurter Buchmesse 2023, druckfrisch Neue Bücher
„Schneeflocken wie Feuer lässt sich in seiner kühlen, oft selbstironischen Sachlichkeit und seinen Fragen nach weiblicher Selbstbestimmung und weiblichem Begehren durchaus vergleichen mit den Romanen von Annie Ernaux, Colette oder Simone de Beauvoir.“
Beate Tröger, Büchermarkt/Deutschlandfunk
„Für ihr Erleben hat Elfi Conrad eine Sprache gefunden, die sinnliche Erfahrung stark nachvollziehbar macht, die etwas, das schwer zu beschreiben ist, sehr dicht umkreist. (…) Das erzählerische Netz, das sie erschafft, ist dicht und nimmt einen gefangen. Verführung im besten Sinn.“
Katharina Manzke, Bücher Magazin
„Es ist ein Buch, das mich in Bann geschlagen hat, verzaubert, regelrecht in andere Sphären verschlagen. … Das ist eine Zeitreise zurück ins Deutschland des Jahres 1962, in den Harz, es ist die Geschichte einer Verführung einer Frau, die mit den Waffen einer Frau, sie ist in Wahrheit ein junges Mädchen, sich ihren Musiklehrer krallt, gleichzeitig ist es eine große Analyse, woher wir kommen, was wir hinter uns gelassen haben. … Eine hinreißende Prosa.“
Denis Scheck, WDR2 Buchtipp (Radio)
„Was einen aber so für dieses Buch einnimmt, ist Doras unbändige Energie, dieser unbedingte Lebenswille, der so elendig unterdrückt wird. … Elfi Conrads Roman verhandelt jedenfalls mit beeindruckender Lebensklugheit und zupackender moralischer Urteilskraft nicht Schuld, sondern Schmerz und was aus ihm folgt, auch gegenwärtig.“
Insa Wilke, Süddeutsche Zeitung
„Eine absolute Entdeckung. Dieses Buch katapultiert einen direkt zurück in die 1960er Jahre: die Nachkriegszeit, das Aufwachsen im Schatten der Nazizeit, die in vielen Strukturen natürlich noch zu spüren war, und es geht um die Geschlechterrollen, um die Frage nach Gleichberechtigung. … Da trifft die Lebenserfahrung einer überzeugten Feministin auf eine junge unerfahrene Frau mit Lebenshunger.“
Anne-Dore Krohn, rbb Kultur
„Schneeflocken wie Feuer ist so besonders, weil sich die Erzählstimme immer der Bedingungen bewusst ist, unter denen ihre Dora handelte. Sie erzählt auf eine Weise, die einen emotional direkt erreicht, aber stets zugleich reflektieren lässt. Und sie zeigt auch die Befreiung einer Frau aus den Grenzen der Erziehung.“
Cornelia Geißler, Berliner Zeitung
„Ein autobiographischer Roman, der begeistert. Elfi Conrad erzählt von einer jungen Frau, die sich nach Selbstbestimmung sehnt. Und wie sie das macht, kann einen als Leser wirklich in den Bann ziehen.“
Denis Scheck, WDR2 Buchtipp (Online)
„Dieses so ehrliche wie wie kluge Buch über die Befreiung der Frauen von gesellschaftlichen Zwängen, über selbstbestimmten Sex und Körpergefühl, über Liebe und die Suche nach einem Platz im Leben gehört für mich zu den großen Entdeckungen dieses Frühjahrs.
Wer Annie Ernaux schätzt sollte sich dieses kühne und unkonventionelle Buch nicht entgehen lassen!„
Frank Menden
„Als Dora ihren Blick auf die Vergangenheit richtet, reflektiert sie ihr Handeln und vergleicht unter anderem die Verhaltensmuster der Gesellschaft und die Rechte der Frauen mit der Neuzeit. Eine Reise in die Vergangenheit, die spannend erzählt ist. Die Protagonistin wächst und steht für sich ein.“
Henrike Lehmann, ekz Bibliotheksservice
„Ein Roman, .. dem die Balance gelingt zwischen warmer Nostalgie und kritischer Selbst-Reflexion. Mit einer Heldin, die ihre Fehler macht und ihre Kämpfe durchsteht – stark und mutig.“
Juliane Bergmann, NDR
„Trotz der Ernsthaftigkeit des Sujets gelingt der Autorin der Balanceakt zwischen Unterhaltung und hoher Literatur. Sie lässt einen in bewegenden Szenen an Emotionen der Protagonistinnen und Protagonisten teilhaben und behandelt gleichzeitig Fragen, die sich heute weiterhin etwa in der Me-Too-Bewegung stellen. Dabei werden Situationen sehr fein geschildert, etwa als Dora ihren Lehrer das erste Mal zu Hause aufsucht, Hilfe bei ihm ersucht. Er lässt sie ein und kreiert eine Situation der Nähe, lässt aber doch einen gewissen Abstand, indem er ihr nur Sprudel ausschenkt.“
Max Perseke, ntv.de
„Lebenserfahrung gepaart mit einem frischen Blick auf die Welt. Das macht Elfi Conrads Roman so lesenswert.“
Yasemin Ergin, NDR Kultur, Das Journal, Fernsehbeitrag
„Das Besondere am Roman: Die fast 80-jährige Erzählerin kommentiert die Geschichte immer wieder aus der heutigen Sicht einer emanzipierten Frau. Schneeflocken wie Feuer ist unser NDR Buch des Monats.“
NDR Kultur, Das Journal
„Radikal. Schamlos. Mehr davon!“
Katarina Hellinger
„Am Beispiel eines freien Falls in die Schulklassen und Beatkeller der sechziger Jahre, aus der Perspektive der alten wie der jungen Frau, scheint Phil Miras/Elfi Conrads in früheren Büchern bewiesene Fähigkeit auf, mitreißende Handlung, psychologische Analyse und Portrait einer Zeit zu verweben.“
Bodo Morshäuser
„Dieser schonungslose Blick auf sich selbst! Ich konnte bis in die Nacht nicht aufhören zu lesen.“
Sarah Raich
„Das ist nicht nur klug und zeitgeschichtlich erhellend, sondern auch in lauter Sätzen geschrieben, die einstechen wie Nadeln.“
Martin Lechner
Inhalt: Befreiung und Emanzipation
Anfang der 1960er Jahre: sexuelle Tabus, veraltete Frauenbilder, patriarchale Strukturen. Für die Erniedrigung, die sie jeden Tag erlebt, will sich die 17-jährige Dora rächen. Ihr Opfer ist der Musiklehrer, ihre Waffe ist ihre Weiblichkeit. Mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln möchte sie ihn verführen.
Dora balanciert auf dem schmalen Grat zwischen aufgeklärter Gegenwart und beengter Vergangenheit. Die ihr zugeschriebene Rolle als ältere Tochter, Schülerin, junge Frau beherrscht sie zwar perfekt, dennoch kann sie sich nicht mit den dazugehörigen Grenzen abfinden.
Der Verführer von Doras Mutter war Adolf Hitler. Als Vertriebene aus Niederschlesien hängt sie ihrer Heimat und dem NS-Regime nach. Die Erzählungen der Mutter und die Folgen des Zweiten Weltkriegs prägen Doras Leben. Sechzig Jahre später schaut die Ich-Erzählerin auf ihre Jugend im Oberharz zurück, ordnet kritisch ein und verknüpft ihre Erinnerungen mit der Gegenwart.
Online-Premiere: 15. Juni, 20 Uhr
Lesungen
- 15. Juli 2023, Bad Gandersheim, Landesgartenschau
- 2. September 2023, Bremen, Büchermeile
- 28. Februar 2024, Karlsruhe, Lesung in der Stephanus-Buchhandlung, 19.30 Uhr
- 10. März 2024, „Zwischenspiele für die Seele“, Elfi Conrad im Gespräch mit Pfarrer Keller und Lesung, Kleine Kirche, Kaiserstr. 131, Nähe Marktplatz, Karlsruhe, 19 Uhr
- 4. September 2024, Hofwirtschaft Dahms, Littel (Niedersachsen)
- 28. September 2024: Hemingway-Lounge, Karlsruhe
- 2. Oktober 2024: Nettetaler Literaturtage
- 21. November 2024: VHS, Baden-Baden
Playlist: Sixties-Party
Ich war siebzehn und ich war eine Frau.
Es ist nicht so, dass ich dachte, ich sei eine Frau. Nein, ich war eine Frau, fühlte mich nicht anders als heute.
Heute bin ich alt, fast achtzig. Aber dieses Gefühl ist über die Jahrzehnte hinweg gleichgeblieben. Erfahrung und Wissen haben es nicht verändert.
Wir haben damals alle ausgesehen wie Kindfrauen. Doch das Kindliche war nur das Äußere: die Babyhaut, die uns umspannte, die großen unschuldigen Augen, die unsere marmornen Gesichter beherrschten. Innerlich verfügten wir über eine ausgeklügelte Raffinesse, uns in Szene zu setzen. Und ich war in dieser Hinsicht skrupellos.
Nicht allein die Scham lässt mich das sagen. Da ist etwas, das schwerer wiegt und heute noch auf mir lastet. Das alles hochkochen lässt, weil ich ihn beim Klassentreffen vor ein paar Tagen auf einem Foto sah.
Natürlich erkannte ich ihn sofort, als sei alles erst vor Kurzem geschehen und nicht vor bald sechzig Jahren.
Ich zuckte zusammen, der Abend mit den ehemaligen Mitschülerinnen und Mitschülern war mir jetzt ein wenig verleidet. Was war das für eine unselige Sitte, Fotos der Schulzeit zu zeigen, inzwischen digitalisiert und als JPGs auf einem Computer präsentiert!
Den anderen war offenbar nicht klar, wer da – unscharf und in Schwarzweiß – mit seiner Gitarre bei einer Schulaufführung saß. Oder wollten sie es nicht wissen? Schauten nicht ein paar verstohlen zu mir herüber?
Der, der die Fotos in JPGs umgewandelt hatte, schien auch etwas zu bemerken. Warum ging er so schnell zum nächsten Foto über? Gunther, der mich jedes Mal in seinem Wagen zum Klassentreffen mitnimmt, weil es kein großer Umweg für ihn ist. Der mir, als ich vierzehn war, den ersten Kuss auf den Mund gedrückt hat. Gunther, mit dem ich seit zwanzig Jahren Mails hin- und herschreibe.
Und sein Blick, was sagte der: Du hast nie über ihn gesprochen, weder im Wagen noch in deinen Mails. Aber du kannst mir nichts vormachen!
Bei allen anderen Fotos wurde minutenlang palavert: „Weißt du noch, Martin hat uns doch bei der Abiprüfung die Mathelösungen auf dem Klo hinterlassen, der ist auch schon gestorben, Darmkrebs.“
„Ach, die Klassenfahrt nach München. Wo wir nachts in den Mädchenschlafzimmern erwischt wurden! Aber der Steinbach war super, der hat uns nicht verraten.“
„Dem Geschichtslehrer, wie hieß der noch? Dem haben wir Schnaps in die Thermoskanne getan!“
„Und hat der Geschichtsunterricht stattgefunden?“, fragte ich. „Klar, hast du’s nicht mitbekommen, Dora? Die lustigste Stunde überhaupt!“ Die anderen lachten und lachten, beschrieben jede Einzelheit. Ich konnte mich nicht erinnern.
An den, der sich unter die Schüler gemischt hatte, weil er so gut Gitarre spielte und eine Rockband hatte, erinnere ich mich genau. Ich könnte ihn zeichnen, auch ohne dass ich ihn auf jenem Foto gesehen hätte: ziemlich klein für einen Mann, nicht viel größer als ich. Damals maß ich 1,64, zwei oder drei Zentimeter habe ich vermutlich inzwischen eingebüßt. Zart und schmal, die Schultern, die Hüften, die Nase. Wäre er groß gewesen, mit langen dünnen Gliedmaßen und langen Händen und langen Füßen, hätte man ihn leptosom genannt; gebraucht man heute noch solche Klassifikationen?
So aber war er einfach ein zerbrechlicher, junger Mann, der keinen Sport trieb. Im Gegensatz zu mir, die ich regelmäßig Geräteturnen trainierte. Als ich ihn später spaßeshalber in den Schwitzkasten nahm, konnte er sich nicht herauswinden.
Er hatte keine Chance, mir zu entkommen.