Undine Materni
Friedas Himmelfahrt
Erzählung
Was bleibt von einem Menschen? Undine Materni erinnert sich an ihre Großmutter, die geliebte, die gefürchtete, die an einem heißen Tag fast unbemerkt starb. Eine kraftvolle und poetische Erzählung.
2,99 €
„Undine Materni war in ihrem Leben Sportlerin, Chemikerin, Kellnerin, Wirtin, Herausgeberin. Doch vor allem ist sie eine Schriftstellerin, die Aufmerksamkeit verdient.“
Deutschlandfunk Lesart
Inhalt
Alle Großeltern sind anders. Aber alle Großeltern haben Einfluss auf ihre Enkelkinder. Die Dresdner Autorin Undine Materni schreibt in dieser Erzählung über Otto und Frieda, die sie sehr geliebt hat. Ihre Leben waren geprägt durch Krieg und Flucht und harte Arbeit. Insbesondere die Großmutter, die allen, die wollten, Blumen aus ihrem Garten schenkte, die Sauerbraten mit Rosinen zubereitete, rückt nahe heran. Undine Materni zeichnet Lebenslinien nach, die Wege in das eigene Erinnern öffnen.
Großmutter starb am heißesten Tag des Jahrhunderts. Die Zeitungen berichteten davon, dennoch bestand die Möglichkeit eines noch heißeren Sommers, denn dieses Jahrhundert hatte noch fünf Jahre in der Westentasche. Die Zeitungen aber lebten in diesem Sommer von Superlativen, da er so heiß war, dass selbst das Lesen einer Zeitung eine erhebliche Mühe bedeutete.
Über Großmutters Sterben jedenfalls berichteten sie nichts. Nur die Verwandtenundbekannten ließen verkünden, dass sie tot sei.
Tot inmitten der gekonnt platzierten Fotos der perfekt arrangierten Zugzusammenstöße und Flugzeugabstürze, der unglaublichen Regengüsse in der Nähe des Äquators; so nahm sich die schwarz umrandete Notiz fast wie ein Trost aus. Ein Trost mit einem Zweiglein garniert, der die Wahrhaftigkeit dieser Zeitung unterstreichen sollte, denn Großmutter hatte wahrhaftig gelebt.
Die Setzer werden geschwitzt haben, die Drucker, die Zeitungsausträger, alle werden geschwitzt haben und unter der Sonne gestöhnt, alle, außer Großmutter.
Der heißeste Tag des Jahrhunderts also war schon vorüber.
Großmutter hatte ihn zum Abschied genutzt.
Sie war gegangen wie sie gekommen war, leise, fast unbemerkt, bis zu jenem Tag, den die Verwandtenundbekannten als den amtlichen Abschied festgesetzt hatten, wie es sich gehört.