Nadine Wojcik

Wo der Teufel wohnt

Exorzisten und Besessene in Polen

Die Journalistin Nadine Wojcik reiste über mehrere Monate hinweg nach Polen, auf der Spurensuche zum Exorzismus. Denn in unserem Nachbarland dürfen mittlerweile offiziell 130 Exorzisten den Gläubigen den Teufel austreiben. Radikalisierung, ganz anders.

Buch erschienen am 23. November 2016

4,99 10,99 

4,99  E-Book

etwa 200 Seiten auf dem Smartphone

ISBN 978-3-944543-39-0
10,99  Taschenbuch

122 Seiten

ISBN 978-3-944543-44-4
E-Book

etwa 200 Seiten auf dem Smartphone

Taschenbuch

122 Seiten

16. November 2016

„Ein großartiges Buch.“
Marion Brasch, radioeins

„In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich?“
EditionF

„Wie ein Roadmovie.“
Adam Gusowski, Funkhaus Europa

„Zwischen den Zeilen erzählt dieses Buch von Angst und von der Suche nach einfachen Antworten und klaren Regeln. Große Empfehlung.“
Tania Folaji, Elektro vs. Print

„Erfahrungen im Grenzbereich.“
Rebecca Ramlow, 3sat/Kulturzeit

Inhalt: Wo der Teufel wohnt

Waren es vor 20 Jahren gerade einmal vier, beläuft sich die Zahl der Exorzisten in Polen heute auf rund 130. Sie werden direkt vom Bischof ernannt, die Nachfrage ist groß. Die Journalistin Nadine Wojcik hat vor Ort recherchiert, sich mit Exorzisten, etwa dem Chef-Exorzisten Grefkowicz, mit Besessenen, Theologen und Publizisten wie dem Herausgeber des Magazins Der Exorzist getroffen und mit ihnen über dieses stark tabuisierte Thema gesprochen. Sie besuchte Befreiungsmessen, Massengebete mit einem ugandischen Priester im Wallfahrtsort Lichén und die Weltjugendtage in Krakau. Eine genaue und packende Spurensuche nach Glauben und Unglauben in 13 Kapiteln, die weder reißerisch anklagt, noch entschuldigt, sondern versucht, ein erstarkendes Phänomen zu verstehen.

Prolog

Er werde nicht mit mir reden.
Ich packe gerade Block, Stift und Aufnahmegerät aus, der Reißverschluss des Rucksacks klemmt, ich nicke automatisch. Mit einer Journalistin werde er „darüber“ nicht reden, wiederholt Herr A., nun bestimmter. Ich verharre: „Das hatten wir doch in vier Telefonaten ausführlich besprochen. Sie hatten mir versichert, reden zu wollen.“ „Reden schon. Aber nicht darüber.“ Sonst könnte ihm Schaden zugefügt werden – und zwar nicht von Menschen. Ich verliere die Fassung. „Das ist jetzt nicht Ihr Ernst! Sie befürchten, dass der Teufel Sie für unser Gespräch bestrafen könnte?“ Herr A. legt den Kopf schräg, er lächelt in Z e i t l u p e. Ich sammle mich. Derart laut werde ich selten gegenüber Interviewpartnern, eigentlich nie. Herr A. kann ja nichts dafür, dass ich jetzt schon seit acht Monaten nach Besessenen suche, die es tausendfach in Polen geben muss. Schließlich sollen hier mindestens 130 Exorzisten praktizieren. Doch offensichtlich ist alles einfacher, als einen der Beteiligten zum Reden zu bringen.

Im August 2015 stolperte ich über einen Zeitungsartikel in Die Welt über boomende Teufelsaustreibungen in Polen. Als Tochter polnischer Auswanderer sind mir so einige religiöse Merkwürdigkeiten vertraut, manche liebenswert wie die kollektive Wasserschlacht „Śmigus-dyngus“ an Ostermontag, manche sonderbar wie das landesweite Radio Maryja mit stündlichen Rosenkranzgebeten. Doch dass ein Phänomen, welches ich zusammen mit der Hexenverbrennung irgendwo im tiefsten Mittelalter abgespeichert hatte, ein derartiges Revival erfährt, war mir nicht bewusst. Der Bedarf an Teufelsaustreibern schießt dabei sogar durch die Decke. Zunächst dümpelten die Zahlen jahrzehntelang wie in vielen europäischen Ländern gen Null, in den 1990er Jahren soll es gerade einmal vier Exorzisten gegeben haben. Vergleicht man diese Zahl mit den heutigen 130, so entspricht das einer Steigerung von mehr als 3.000 Prozent.

Meine bisherige Erfahrung mit Teufelsaustreibern beschränkte sich auf den Horror-Film Der Exorzist von 1973. Nun fragte ich mich: Gibt es etwa tatsächlich Besessene, die schreiend durch die Luft fliegen und Priester bespucken? Bei meiner Internetrecherche entdeckte ich einen weiteren Film, den polnischen Dokumentarfilm Kampf mit dem Satan von 2015. Hier spricht ein echter Exorzist – und zwar im Religionsunterricht. Er hat den Schülern eine Plastikschachtel mit rostigen Nägeln mitgebracht und erklärt den verängstigten Schülern, dass diese von Besessenen ausgespuckt worden seien. Einige Szenen später sieht man, wie ein tatsächlicher Exorzismus in Polen aussieht: Vermeintlich Besessene schmeißen sich schreiend durch den ganzen Raum. Auch wenn vor laufender Kamera niemand Nägel ausspuckt und ich auch ansonsten nichts Übernatürliches in den Szenen entdecken kann, so bin ich doch geschockt. Derartige Anfälle, nur durch ein Kruzifix ausgelöst, hatte ich noch nie zuvor gesehen.
Exorzisten sind katholische Priester, vom Bischof ernannt. Man beruft sich dabei auf das Markus-Evangelium: „Dann rief er (Jesus, Anm. d. A.) seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen.“ Diese Vollmacht haben im Verständnis der katholischen Kirche heute die Bischöfe, als Nachfolger der Apostel. Und weil sie sich nicht um alles selbst kümmern können, übertragen sie diese per Dekret an ausgewählte Priester: die Exorzisten.

Während das deutschsprachige Internet beim Begriff Exorzismus viele esoterische oder schamanische Seiten ausspuckt, beantwortet das polnischsprachige Netz schnell und ausführlich meine Fragen. Zum Beispiel woran ich einen Besessenen erkenne: übernatürliche Kräfte, obszöne Beschimpfungen von Geistlichen und dem Göttlichen, Abscheu gegenüber Sakramentalien wie Kreuz oder Weihwasser, Sprechen in fremden Sprachen oder in unnatürlichen Stimmlagen, Hellseherei, Schwierigkeiten beim Beten, Selbstverletzung.

Der letzte öffentliche Fall in Deutschland, auf den diese Kriterien zugetroffen haben sollen, war 1976 der Exorzismus der Studentin Anneliese Michel. Sie wuchs in einer streng religiösen Familie auf, litt unter Epilepsie, aus der sich dann vermutlich eine Psychose entwickelte. Für Eltern und Priester galt sie als besessen und wurde 67 Mal in ihrem Elternhaus exorziert – bis sie mit 31 Kilo an Unterernährung und Erschöpfung starb. Die Details ihrer Leidensgeschichte sind schwer zu ertragen, beispielsweise dass sie sich die Zähne ausbiss. Auch die Tonaufnahmen ihrer Exorzismen, auf denen sie sich als Hitler, Nero oder Kain ausgibt, sind gruselig anzuhören. Im Gerichtsprozess, der ihrem Tod folgte, wurden die Eltern und auch die Exorzisten zu Freiheitsstrafen verurteilt. Deutsche Bischöfe genehmigen Exorzismen seitdem nur in Ausnahmefällen. Es soll eine hohe Dunkelziffer geben, aber aus dem offiziellen Bild der katholischen Kirche sind Exorzisten in Deutschland verschwunden.

„So möchte ich nicht enden“, sagt Herr A. „Anneliese Michel war krank. Sie hätte ins Krankenhaus gebracht werden müssen“, erkläre ich. Herr A. ist da ganz anderer Meinung. Dann verstummt er. Er will nicht mehr als nötig sprechen und fragt nur verschwörerisch: „Und woher kommen Krankheiten? Gott hat sie jedenfalls nicht erschaffen.“

Todesfälle in Folge von Exorzismen sind mir in Polen nicht bekannt. Teufelsaustreibung, so sollte ich während meiner achtmonatigen Recherche von Januar bis August 2016 lernen, ist in Polen recht institutionalisiert und findet vorwiegend in kirchlichen Räumlichkeiten statt. Wer aber kontrolliert den Ablauf des Rituals? Wie genau sieht der berufliche Alltag eines Exorzisten aus? Und warum ist der Bedarf so groß? Wohnt der Teufel in Polen?

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Die Autorin

Nadine Wojcik, geboren 1979 in Velbert, wuchs in Velbert, Nordrhein-Westfalen als Kind polnischer Auswanderer auf. Mit ihrer Großmutter baute sie kleine Altäre im Kinderzimmer. Weil das Polnischsein in den 1980er- und 1990er-Jahren nicht gerade als etwas galt, mit dem man hausieren ging, übte sie sich in Assimilation. Das änderte sich mit einem Politikstudium in Berlin und zahllosen Reisen in den Ostblock, mit und ohne Aufnahmegerät. Seit 2008 ist Nadine Wojcik freischaffende Radioreporterin und Autorin in den Themenbereichen Kultur, Arbeitswelten und Osteuropa für DW, Deutschlandradio Kultur und SWR 2 und trainiert Nachwuchsjournalisten u.a. für die DW Akademie in der Republik Moldau. Auszeichnungen: Recherchestipendiums des American Council on Germany 2012, Nominierung Axel Springer Preis 2013 (Sondererwähnung für herausragende Leistung). Die Recherche zum Exorzismus in Polen wurde durch das Robert Bosch Programm Reporters in the Field ermöglicht.

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