28. Dezember 2024: Radek Knapp stellt in Die Presse WINTERBUCH DER LIEBE von Dora Kaprálová vor

Radek Knapp nähert sich dem skurillen Winterbuch der Liebe, das so voller Liebe und Seltsamkeiten steckt, mit Liebe, wenn wir das so sagen dürfen:

Man sollte sich nicht anmaßen zu sagen, dass die deutsche Literatur in vielem besser sei als die englische oder die französische geistreicher als die irische oder die amerikanische leichter als die europäische. Aber man kann absolut behaupten, dass die tschechische Literatur sich gut auf Skurriles und Groteskes versteht. Dora Kaprálová steckt von Kopf bis Fuß darin, und es hat weder ihr noch ihrem Werk geschadet. Jaroslav Seifert, Bohumil Hrabal und nicht zuletzt Kaprálovás eigener Vater, der Dichter Zeno Kaprál, schweben hier sanft herum, ohne der Autorin die Luft zu nehmen, die sie sich erschrieben hat.

Die entscheidende Frage hinsichtlich Kaprálovás Buchs lautet: Warum wird hier so viel geliebt – und vor allem was? Vielleicht hilft bei der Beantwortung die folgende Stelle: „Es gibt einen Mann im Kostümverleih des Berliner Theaters. Er ist Italiener. Er ist eine Frau. Eine Frau, die mich liebt und vielleicht nicht liebt. Aber sie schaut mich an wie ein Mann, der mich liebt.“

Es tut gut, in Zeiten wie diesen so oft das Wort Liebe zu hören. Egal, aus welcher Richtung es kommt, und wo es landet. Man sagt: Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Aber man kann auch gleich sagen: Die Liebe steckt im Herzen desjenigen, der zur Liebe fähig ist. Nirgendwo anders.

Quelle: Die Presse, Radek Knapp, 28. Dezember 2024