24. April: „Dunkle Wolken über Damaskus“. Aboud Saeed mit Dima Wannous bei der Eröffnung von read! Berlin

„Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so eine einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.“ Bertolt Brecht

Flüchtlingsgespräche

Gäste: Dima Wannous, Aboud Saeed
Moderation: Thomas Böhm
Schauspieler: Harald Polzin, Denis Moschitto

Eröffnungsveranstaltung des Festivals Read! Berlin, 24. April 2015, 19 Uhr

In Anlehnung an Brechts Flüchtlingsgespräche von 1940/41 schildern die nach Deutschland und in den Libanon geflohenen Autoren Saeed und Wannous ihre Eindrücke aus der Zeit vor und während des aktuellen Syrienkrieges. Bewegende Fragmente einer Flucht und Momentaufnahmen einer scheiternden Zivilgesellschaft.

Dima Wannous erzählt vom Leben der Menschen vor Beginn der syrischen Revolution 2011. Es sind zerstörte und gestörte Persönlichkeiten, die Wannous beschreibt; unfähig, angepasst, verängstigt, Kriecher, arme Schlucker, und alle Opfer einer alles beherrschenden Diktatur.
In neun ausdrucksstarken Erzählungen lässt die Autorin die syrische Zivilgesellschaft vor den Augen der Leser entstehen. Beeindruckend klarsichtig hat sie 2007 in „Dunkle Wolken über Damaskus“ die Möglichkeit einer Revolution in Syrien vorausgesehen. Für die deutsche Ausgabe des Buches (November 2014) hat sie das Vorwort aktualisiert. Darin heißt es u.a.:

Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass die Revolution entfacht wurde, um alles auszulöschen, was vorher war, auch wenn die Revolution selbst durch ausländische Interventionen und Bewaffnung von ihrem Weg abkam. Es ist und bleibt trotz allem eine Revolution. Allerdings ist sie meiner Meinung nach bereits zu Ende. Aber nicht, wie manche behaupten, weil es gar keine Revolution war, sondern ein Bürgerkrieg. Nein, falsch. Die Revolution ist meiner Meinung nach zu Ende, weil sie ihr Ziel erreicht hat. Die Mauer des Schweigens wurde durchbrochen und zerstört, und niemand wird sie wieder aufbauen können. Weder das verbrecherische Regime noch ISIS, der optimale Partner des Regimes bei der Verübung von Verbrechen. Auch hat die Revolution das Schicksal aller Syrer verändert. Sie ist in ihre Seele eingedrungen und hat mit ihrem Leben gespielt. Und dieses Spiel ist das Gegenteil von Stagnation, die die Syrer über Jahrzehnte erlebten, seelisch wie körperlich. (…) Und heute ist der Körper des rebellischen Geistes Bombardements, Giftgasangriffen, Tod, Folter und Fäulnis ausgesetzt. Aber es ist ein Leiden anderer Art, ein Leiden für das Leben. Während es früher jahrzehntelang ein Leiden für die Absurdität war, und für die Ewigkeit, nämlich die Ewigkeit des syrischen Regimes.

Aboud Saeed veröffentlichte im Frühjahr 2010, wenige Monate, nachdem er sich bei Facebook registriert hatte, seinen ersten literarisch anmutenden Text. Er trug den Titel „Rendezvous auf dem Klo“, eine Kurzgeschichte über eine zwischenmenschliche Begegnung während des Stuhlgangs. Dieses etwas außergewöhnliche Aufeinandertreffen zwischen einer Frau und einem Mann stieß noch auf wenig Resonanz.

Der Grad der Aufmerksamkeit änderte sich nach einem Post Ende 2011. Im Dezember, die syrische Revolution hatte im Frühjahr begonnen, schrieb er auf Facebook auf die – im Schreibfeld standardisiert erscheinende – Frage „Was denkst Du gerade?“:

Ich werde alles schreiben, was ich gerade denke, über die Leere, die aus mir einen Pseudo-Dichter gemacht hat.

Er wolle die Nummer Eins werden, der „klügste Mensch im Facebook“, schrieb er weiter. Von da an brachte Saeed regelmäßig Statusmeldungen – Anekdoten, Aphorismen, Kommentare – übers Rauchen, Frauen, zum Krieg, über Intellektuelle, seine Familie, Nachbarn, Freunde, Religion u.v.m. Seine Fangemeinde schnellte in die Höhe. Namhafte Kulturschaffende und Intellektuelle zählen seitdem zu seinen regelmäßigen Lesern.

Die libanesische Tageszeitung Annahar zeichnete 2012 Saeeds digitale Kurzprosa mit den Worten: „Auf Facebook zu gehen, ohne Aboud Saeed kennenzulernen, ist, wie nach Paris zu reisen, ohne den Eiffelturm zu sehen.“ Mit schwarzem Humor, einem genauen Blick für die Absurditäten des Alltags und angetrieben von Wut und Sehnsucht liefert er einen anderen, menschlicheren Blick auf sein Land, als es die Kriegsberichterstattung tut, die unsere Wahrnehmung bestimmt. Mit Nikola Richter fand er in Deutschland eine Verlegerin, die es ihm möglich machte, seine Statutsmeldungen aus dem Netz als e-Book herauszubringen. Es trägt den Titel Der klügste Mensch im Facebook.

Saeeds Heimatstadt Manbidsch, im Norden Syriens gelegen, gehörte zu den ersten Orten, aus denen Rebellen die Regierungssoldaten vertrieben. Assad reagierte mit tagelangen Bombardements.

Als er sich vor einiger Zeit zur Lesereise nach Deutschland aufmachte und der erste Flug seines Lebens anstand, nachdem er zu Land in die Türkei gelangt war, um von dort aus mit einem Fremdenpass der deutschen Botschaft weiterzureisen, schrieb er sarkastisch:
„Morgen werde ich mit dem Flugzeug fliegen. Dann werde ich wissen, wie die Häuser, Straßen und Märkte aus der Sicht des Piloten aussehen, der die Stadt bombardiert.“

Aboud Saeed hat Deutschland nach seiner Lesereise nicht mehr verlassen. Er beantragte Asyl und lebt heute in Berlin.