Lavinia Branişte

Null Komma Irgendwas

Roman

Die rumänische junge Autorin Lavinia Braniște hat einen absolut zeitgültigen, europäischen Roman über die strengen Strukturen geschrieben, die sich heute über unsere Leben stülpen – und wie wir kleine Siege über sie feiern können. Das perfekte Glück dürfen wir nie aus den Augen verlieren.

Aus dem Rumänischen von Manuela Klenke

12,99 21,99 

12,99  E-Book

370 Seiten

ISBN 978-3-944543-61-1
21,99  Hardcover

288 Seiten

ISBN 978-3-944543-60-4
E-Book

370 Seiten

Hardcover

288 Seiten

1. März 2018, lieferbar

Produktsicherheit

„Lakonisch, voller Selbstironie und fein beobachtet entsteht ein gnadenloses Bild der Gesellschaft im heutigen Bukarest und das aus eigenen Erfahrungen gespeiste Porträt einer jungen Frau, der die nötige Skrupellosigkeit fehlt, die aber dennoch nicht aufgibt. Dialogreicher, überzeugender, flüssig übersetzter Frauenroman mit berührenden Sprachbildern, breit empfohlen.“
Lieselotte Jürgensen, ekz Bibliotheksservice

„Viele tolle Formulierungen. … Lesenswerte Spiegelung gesamteuropäischer Verhältnisse.“
Thomas Völkner, Hamburger Lokalradio

„Es sind, um mit Helmut Lethen zu reden, Verhaltenslehren der Kälte, die Cristinas Curriculum in diesem Buch bilden. Einen Bildungsroman gibt das gerade nicht. Aber einen, dessen Bilder man nicht wieder vergisst.“
Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Mit Cristina hat Braniște eine Romanheldin geschaffen, die man am liebsten in den Arm nehmen möchte. … Der dialogreiche, von Manuela Klenke in wendiges Deutsch übersetzte Roman ist sehr berührend.“
Katrin Hillgruber, Tagesspiegel

„Pragmatisch, lakonisch, schnodderig. Sehr überzeugend.“
Die Literaturagenten, radio eins

„Was da zwischen hellgrünen Buchdeckeln lauert, springt mich an. Lavinia Braniștes Roman Null Komma Irgendwas ist was! Das echte Leben. Die junge Rumänin schreibt erfrischend anders, prickelnd, mutig, klar.“
Annette König, Die BuchKönig bloggt

„Ein ganz außergewöhnlicher Roman.“
Anne-Dore Krohn, rbb Kulturradio, hier zum Nachhören

„Mehr als ein Gleichnis auf den Alltag in Rumänien.“
Ulf Kalkreuth, titel thesen temperamente / ARD

„So überraschend und lebendig – und lustig – sind die Dialoge, dass man wieder einmal denkt, Realismus ist eigentlich die irrsinnigste Form, die Realität abzubilden.“
Birthe Mühlhoff, Zeit Online

„Man wird in der rumänischen Gegenwartsliteratur lange suchen müssen, um ein derartig direktes und präzises Abbild der rumänischen Gesellschaft von heute zu finden. Unter den diesjährigen Neuübersetzungen zur Leipziger Buchmesse ist Branistes Roman eine, die leuchtet.“
Mirko Schwanitz, Bayerischer Rundfunk

„Der Roman von Lavinia Braniste ist absolut empfehlungswert. Ich habe ihn atemlos in wenigen Stunden durchgelesen.“
Barbara Peveling, Interview auf Edition F

„Die Stimmung einer Generation.“
Holger Heimann, SWR 2 Lesenswert

„In ihrem Roman erzählt Lavinia Branişte von der Gefahr, im ruppig-egoistischen Turbokapitalismus aufgerieben zu werden – im Alltagsleben organisiert sich die ernst und konzentriert wirkende junge Frau mit anderen.“
Jörg Plath, Deutschlandradio Kultur

„Mit Null Komma Irgendwas hat sie einen ironischen, zugleich sehr berührenden Roman um eine Übersetzerin in einer mit EU-Geldern geförderten Baufirma vorgelegt.“
Katrin Hillgruber, Badische Zeitung

„Überraschungserfolg.
Leipziger Volkszeitung

„Stark erzählt.“
Zeit Online

„Braniște legt den Fokus nicht auf die Politik ihres Landes, sondern auf den Alltag ihrer Figuren – durch den das Politische aufscheint.“
Carola Ebeling, taz

„Es ist ein undeutsches Buch, finde ich, im positiven Sinne, weil Lavinia Braniște wirklich auf Normalität setzt und dabei keine spleenige Figur braucht, und weil sie nicht dieses Um-jeden-Preis-Verdichten mitmacht, sondern selbst in Szenen noch offen und panoramatisch bleibt. Aber nie verlabert ist.“
Jan Böttcher

„Ein einzigartiges, authentisches und mutiges Buch, und ein notwendiges.“
Observator cultural

„Nein, du kannst die Zukunft nicht erraten, aber du kannst irgendwie mit der Gegenwart umgehen … Ein Überlebenshandbuch, ein Leitfaden zum Atmen.“
Bookaholic.ro

Inhalt: Roman

Cristina ist eine junge Frau von heute. Sie ist von einer engen Kleinstadt in die Hauptstadt gezogen. Nun arbeitet sie Assistentin einer Bau-Firma, die gerade mit EU-Geldern ein Home- und Gartencenter am Rande Bukarests errichtet. Sie kämpft mit Rechnungsnummern, Kollegenwitzen und dominanter Chefin. Gleichzeitig hängt sie in einer Fernbeziehung fest, der erste Versuch mit Online-Sex scheitert, eine eigene Wohnung ist in weiter Ferne. Ihre Mutter arbeitet in Spanien im Tourismusgewerbe – und wenn sie dann einmal einfliegt, bringt sie zwar Geld und Gefühle mit, doch nur für kurze Zeit.
Lavinia Braniște erzählt wunderbar frisch, lakonisch und selbstironisch vom Wunsch nach Anerkennung und dem Gift der Erwartungen. Doch auch wenn Cristina an den Zwängen des Alltags zwischen Hypermarkt und Clubnacht zu verzweifeln scheint, rappelt sie sich immer wieder auf. Ein Buch mit und über Frauen, die gleichzeitig schwach und stark sind.

Gefördert vom Rumänischen Kulturinstitut und Deutschen Übersetzerfonds
Deutsche Erstausgabe (Lizenz: Polirom)

Das Buch wurde als Theaterstück vom Freien Werkstatttheater Köln aufgeführt.

Weitere Titel aus unserem Programm aus osteuropäischen Ländern: die Ukraine-Reportage Ich bin privat hier von Sebastian Christ und Wo der Teufel wohnt, eine Reportage wie ein Road Trip zu Exorzisten in Polen von Nadine Wojcik.

(…)

Vor ungefähr einem Jahr, bei dem ersten Vertragsabschluss als Allgemeine Bauunternehmerin, konnte sie schon riechen, dass es im Bauwesen Geld regnet.

„Wir werden Bauarbeiter“, sagte sie und rieb ihre Hände aneinander. Sie kassierte bereits von einem Kunden Raten in Höhe von einer Million Euro. Meine Aufgabe ist es, die Rechnungen ins System einzugeben. Ich muss mit dem Fingernagel am Monitor die Zahlen in Dreier-Gruppen einteilen, um feststellen zu können, ob es um Zehntausende, Hunderttausende oder Millionen geht. Beim Umgang mit dem Geld wird mir ganz schwindelig.

Mittwochs um neun stehen Besprechungen auf der Baustelle an. In unserem Baucontainer versammeln sich Vertreter der Kunden und der Subunternehmer, sprechen sich ab, schreien sich gegenseitig an, aber SIE übertönt alle. Sie ist stolz darauf, eine Frau in der Männerwelt zu sein. „Alle fürchten Sie, Frau Liliana“, sagte ihr einst Mircea Negoescu von MirConstruct, woraufhin sie voller Stolz einen Augenblick lang vergaß, wie schlecht die Testergebnisse beim Beton ausgefallen waren.

Wir bauen ein Home- und Gartencenter am Stadtrand von Bukarest.

Am Eingang der Baustelle parken mehrere Jeeps hintereinander, und sie denkt laut: „Guck mal, was für Autos die haben … Nur wir fahren mit einem Dacia Duster.“

Sie und ihr Ehemann besitzen ein Viertel der Firma, der Rest gehört einem spanischen Unternehmer. Sie muss denen alles berichten. Das lässt ihr keine Ruhe.

Beim Aussteigen versinken meine Füße in einem Meer aus Schlamm und ich bekomme Mitleid mit meinen neuen Arbeitsstiefel, die so gut wie unbenutzt sind.

Eine Baustelle ist ein Ort, an dem du mehr als üblich und vor allem sofort wahrnimmst, dass du eine Frau bist, weil dich alle angaffen – neugierig, verwirrt, anzüglich. Man fragt sich einen Moment lang, was in denen vorgeht. Hinterher erinnert man sich daran, dass man eine unerwartete Erscheinung ist, welche großes Interesse hervorruft, aber man möchte nicht genau wissen, in welcher Hinsicht. Ach so, warte mal, ich bin ja eine Frau, okay. Bei dem Gedanken daran, dass Mona, die Architektin, den ganzen Sommer über in kurzer Hose hergekommen ist, wird mir ganz anders. Sie wollte immer alleine auf die Baustelle gehen. Die Tage ohne sie beim Mittagstisch waren daher ein Segen.

Im Besprechungscontainer haben sich die Leute bereits versammelt. Die Chefin empfiehlt mir, eine Runde auf der Baustelle zu drehen, vorher kommt sie mit, um mir zu zeigen, wo ich mir einen Helm besorgen kann. Sie fragt Mona nach dem Schlüssel zu ihrem Büro-Baucontainer. Die Chefin schließt Monas Container auf. Uns schlägt eine Hitzewelle entgegen, woraufhin sie zum elektrischen Heizkörper hechtet, um ihn auszustellen. „Warum lässt die den ständig laufen? Ich habe ihr schon so oft gesagt, dass sie nicht so viel heizen soll.“

Im Büro hat Mona einen Haufen Papiere, eine Flasche Coke Zero, die wahrscheinlich abgestanden schmeckt, und ein Bild von sich und Claudiu auf einem Elefanten, als sie vor ein paar Monaten in Thailand waren. Sie sitzen auf einer Art improvisiertem Sattel, der unter dem Bauch des Elefanten festgebunden ist, während der Elefantenführer, ein schlaksiger Junge, den Hals des Tieres bestiegen hat und sich an seinen Kopf stützt. Mona lächelt auf dem Bild, aber Claudiu sitzt zu seitlich und sieht ziemlich panisch aus. Soweit ich das verstehe, ist das ihre Manie, unterschiedliche exotische Tiere zu reiten, wenn sie auf Inseln Urlaub macht. Er fügt sich nur. Dieses Mal hat sie uns jedoch gestanden, dass sogar sie selbst Angst hatte. Die haben sie eine halbe Stunde durch den Wald herumgeführt, der Elefant stolperte zwischendurch. „Ihr könnt euch vorstellen, wenn der ausgerutscht wäre“, sagte sie zu uns. „Wenn man vom Elefanten fällt, ist man erledigt.“

Was für ein Chaos in diesem Büro!“, sagt die Chefin. Sie hinterlässt Schlammspuren auf dem Fußboden, der aussieht, als wäre erst vor kurzem gewischt worden.

Mittwochs kommt Tanti Oara, die Putzfrau der Firma. Sie kommt auch zweimal pro Woche für zwei Stunden zu uns ins Büro. Auf der Baustelle haben sie sie ebenfalls für zwei Stunden beauftragt, aber immer, wenn sie kann, ergreift sie die Chance, sich bei mir darüber zu beklagen, dass es ihr schwer fällt, mit den Stiefeln durch diesen Matsch zu laufen und die Hände unter das eiskalte Wasser zu halten, weil auf der Baustelle ja kein warmes Wasser vorhanden ist. Außerdem gibt Mona ihr nicht den Schlüssel von der Frauentoilette. Sie muss die der Arbeiter benutzen. Die Frauentoilette sei nur für Mona.
Sie wischt den Boden in den Containern, und sofort stürmt einer herein und macht alles wieder dreckig. Die Chefin schimpft dann mit ihr, dass sie auf dem Boden Wasser mit Schlamm verteile, aber wenn sie neues Wasser braucht, muss sie aus einem Becken Eisblöcke herausholen und sie im Eimer schmelzen lassen, damit sie wischen kann.

„Mir passt es auch nicht“, sagt sie. „Ich kann nicht mehr, aber ich zeig’s nicht.“ Sie steht kurz vor der Rente. Alle zwei, drei Wochen verarscht Mona sie und lässt sie auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt Mega Image stehen. Sie wolle nicht, sagt sie, dass die Zigeunerin ihr Auto vollstinke.

Tanti Oara kommt aus einem Dorf außerhalb von Bukarest, von der anderen Seite der Stadt. Der Kleinbus fährt in großen Intervallen. Der, der morgens fährt, kommt um halb acht vor dem Mega an. Sie steigt da aus und wartet bis um acht auf Mona, damit die sie mitnimmt und zur Baustelle bringt.
Mona hat protestiert, dass es nicht ihre Sache sei, sie hinzubringen. Die Chefin verdrehte nur die Augen, drohte ihr mit dem Zeigefinger und ließ keine Widerworte zu. Wahrscheinlich haben sie ihr auch noch kleine Vorteile versprochen. Mona würde nie etwas umsonst machen. An manchen Tagen gibt sie vor, verwirrt zu sein, und lässt die Frau stehen. Dann bleibt Tanti Oara da und wartet und muss die Straßenbahn nehmen.

Die Chefin streckt sich zum Schrank hin und gibt mir einen Helm. Álvaro Moreno hat ihr die Helme mit der spanischen Post geschickt, nachdem er mal zu Besuch war und gesehen hat, dass unsere Leute sich Helme von den Subunternehmern ausgeliehen hatten. Moreno ist das Image sehr wichtig. Er ist verrückt nach der Webseite und dem Newsletter seiner Firma.

Ich habe noch nie einen Bauarbeiterhelm getragen und wundere mich, wie leicht er ist. Während ich ihn mir über die Mütze stülpe, versuche ich, den Hals steif zu machen, aus Angst, der Helm könne herunterfallen. Ein seltsames Gefühl von Freude regt sich in mir. Ich habe etwas auf meinem Kopf, mit dem ich mich gern fotografieren lassen würde, aber ich halte mich zurück.

(…)

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Die Autorin & die Übersetzerin

Lavinia Branişte, geboren 1983 in Brăila, im Südosten Rumäniens, arbeitet als Autorin und Literaturübersetzerin. Sie veröffentlichte zwei Sammlungen mit Kurzgeschichten, zwei Romane und drei Kinderbücher. Ihr erster Roman Interior zero wurde mit dem Preis „Nepotul lui Thoreau“ („Thoreau’s Neffe“) als der beste rumänische Roman im Jahr 2016 ausgezeichnet. 2019 war Lavinia Branişte Stipendiatin im International Writers‘ House in Graz und im Hessischen Literaturforum. Ihr zweiter Roman Sonia ridică mâna (2019) wurde für fünf nationale Literaturpreise nominiert und mit zwei Preisen, darunter dem wichtigen Sofia-Nădejde-Preis, ausgezeichnet. Bei mikrotext erschienen: Null Komma Irgendwas, Planet Romeo, Sonia meldet sich.

Manuela Klenke wurde 1984 in Cluj-Napoca geboren und lebt in Osnabrück. Sie arbeitet als Literaturübersetzerin. 2008 erschien ihr Buch On Textproduction: The Integral Relationship to Translation (Ko-Autorin Alina Preda).Zuletzt übersetzte sie die Romane von Lavinia Braniște Null Komma Irgendwas und Sonia meldet sich, sowie Die grünen Brüste von Florin Iaru. Sie kuratiert die monatliche Kolumne „Deutsche Ecke” auf DLITE, den Literaturblog des Goethe Instituts Bukarest.

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