Elke Brüns
Unbehaust
Ein Essay
Die Gebrüder Grimm definierten das Obdach kurz und bündig: Es biete „Unterkunft, Schutz und Schirm“. Die Literaturwissenschaftlerin Elke Brüns widmet sich in ihrem Essay denjenigen, die all dieses nicht haben, den Obdachlosen in Literatur, Film, Alltag.
4,99 €
„Höchst lesenswert.“
– Büchermarkt im Deutschlandradio, Jan Drees
„Die Fragen, die Brüns stellt, sind ungemein spannend. Dieser Essay sollte viel länger sein.“
– Büchermagazin, Elisabeth Dietz
„Der lesenswerte Essay zur Obdachlosigkeit von Elke Brüns hat nicht zur Intention, den Obdach- oder Wohnungslosen auszustellen, dieses Eriginal legt unseren Blick frei, entkernt die Angstmechanismen der Menschen mit Behausung. Zurück bleibt die berechtigte Frage: Warum wurde Nomadentum zur Obdachlosigkeit und strafbar – und wenn das bürgerliche Modell des Behaustseins die Norm ist – wie helfen?“
– Elektro vs. Print, Tania Folaji
„So luzide wie engagiert.“
– Frankfurter Allgemeine Zeitung, Oliver Jungen
„Für mich fühlt es sich richtig an, mich dem Thema auf diese Art zu nähern. Kein Jammern, kein Klagen. Aber aus den verschiedenen Richtung auf das Unbehauste schauen und langsam näher kommen.“
– Sammelmappe, Claudia Kilian
Inhalt: Essay
Obdachlose werden bemitleidet, verachtet oder ignoriert – und in Literatur, Film und Philosophie als Figurationen der Freiheit in Szene gesetzt. Die Literaturwissenschaftlerin spannt einen Bogen von Victor Hugo zum romantischen Vagabunden, von Maxim Gorki bis zum Tatort. In dieser verborgenen Faszinationsgeschichte stellen die Unbehausten uns grundlegende Fragen zu unseren Werten und Lebensentwürfen. In Berlin, der „Hauptstadt der Obdachlosen“, haben mittlerweile etwa 20.000 Menschen keine feste Bleibe, berichtete die Berliner Zeitung unlängst.
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Während ich diesen Text fertigstelle, erscheint ein Artikel in der Berliner Zeitung: Hauptstadt der Obdachlosen. 20.000 Berliner haben laut Schätzung keine feste Bleibe. Sozialverbände fordern Kanzlergipfel. Für das kommende Jahr 2018 soll es nach Schätzungen der Sozialverbände 500.000 Wohnungslose in Deutschland geben. Eine halbe Million Menschen, die auf der Straße leben.
Jeder dieser Menschen ist eine lebende Frage: Wie geht eine Gesellschaft mit Bedürftigkeit um? Jeder Bettler, jede Bettlerin zwingt die Passanten sich zu entscheiden: helfen oder nicht? Alltagspraktische Überlegungen und vielleicht auch alltägliches Unwohlsein, wenn es in manchen Stadtvierteln zu viele Hilfsbedürftige werden: Wem soll man noch alles helfen? Hier steht der Obdachlose stellvertretend für das Elend der Welt, von dem sich viele aktuell überfordert fühlen.
Auch dieser Text hat seinen Ursprung in einer persönlichen Erfahrung. In der Gegend, in der ich wohne, wird sehr viel gebettelt – mein Rekord liegt bei 5 Bettlern auf 30 Meter. Das führt im Laufe der Jahre zu einem, wenn man so will, routinierten Umgang mit Notleidenden – und zu Irritation, wenn er versagt. So kam meine Routine abrupt ins Stocken, als ich einem Obdachlosen Geld in den Becher werfen wollte, aber nicht konnte. Der Mann wirkte, zusammengekrümmt und reglos, mit seiner über das Gesicht gezogenen Kapuze so abweisend und unzugänglich, dass ich förmlich an ihm abprallte. Es hat einige Tage gedauert und die Überwindung entstehender Aggressionen gebraucht – Betteln und dann diese Aura! – bis ich mein Kopfkino ausschalten und dem Mann Geld geben konnte. Es hat gedauert, aber ich begriff: Dieser Obdachlose schämte sich so sehr zu betteln, dass er eigentlich unsichtbar sein wollte. Heute sehe ich diesen Mann regelmäßig am U-Bahn-Eingang stehen. Sein Gesicht ist leicht verwittert und sehr freundlich, er steht mit seinem Becher in der Hand da und er schaut gerade aus. Ich gebe Geld, wir wechseln ein paar Worte. Ihm möchte ich diesen Text widmen.
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