Vorschau

Ariel Magnus

Die Verbliebenen vom Tempelfeld

Roman

Dieser Schelmen-Roman erzählt von einem besonderen Ort in Berlin, von seiner Weite, den Lerchen, den Drachen, aber auch von einem etwas wahnwitzigen Projekt der dort Verbliebenen, welches dann am Ende zwar nicht klappt, aber es passiert, wie immer im Leben, etwas anderes Interessantes.

11,99 24,00 

11,99  E-Book
ISBN 978-3-948631-61-1
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ISBN 978-3-948631-62-8
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September 2025

Pressetimmen zu vorherigen Büchern des Autors

„Überzeugend zeigt er, wie sehr er sich in Menschen einfühlen kann. Und er kann äußerst artistisch damit umgehen, Geschichten zu erzählen.“
Deutschlandfunk

„Er spielt mit Vorurteilen und Klischees und bildet die Realität womöglich gerade deshalb präzise ab.“
Der Tagesspiegel

„Magnus ist ein knallharter Satiriker.“
Dirk Fuhrig, WDR 3

Inhalt: Tempelhofer Feld, Freundschaft, Migration

Mit Sprachwitz und teils irrer Handlung erkundet Die Verbliebenen vom Tempelfeld die vielschichtige Geschichte des ehemaligen „Hitler-Flughafens“ und bringt dabei auch viele kulturelle Bezüge des Ortes ins Spiel. Währenddessen debattieren seine politisch ziemlich unkorrekten Protagonisten mit Ironie und Scharfsinn über Migration, Stadtplanung und andere brisante gesellschaftliche Themen.

Die Hauptfigur ist Jamil, ein syrischer Jugendlicher, den man irgendwie dort vergessen hat, in den „Tempohomes“, den temporären Containerbehausungen für Flüchtlinge. Er freundet sich mit weiteren Gestrandeten an: dem Argentinier Santiago, mit dem Gärtner Herrn Schwarz, dem israelischen Bretzelbäcker Yehonatan und der Freiheitskämpferin Elenya. Die Zeit vergeht langsam, wenn man nicht arbeiten darf, nicht richtig ankommen darf …

Ein Roman über eine reale urbane Utopie und das spezielle Berlin-Gefühl, das aus Freiheit, Lebensfreude, Überraschungen und ungewöhnlichen Projekten und Freundschaften besteht.

Halboffizielle Premiere

Freitag, 29. August 2025: Asado auf dem Tempelhofer Feld, weitere Infos folgen (nur mit Anmeldung)

Premiere

Freitag, 26. September 2025: Lesung und Gespräch. Buchpremiere in der Buchhandlung ocelot, Brunnenstr. 181, 10119 Berlin. Moderation: Nikola Richter


EILMELDUNG AUS DEM FELD:
Zwei Krähen haben sich gestritten,
zwei Hunde haben sich beschnüffelt,
zwei Schafe haben geschlafen.
Zwei Frauen haben miteinander geredet,
zwei Männer haben miteinander geschwiegen,
zwei Kinder haben miteinander gespielt.
Eins plus eins ist also hier
zwei geblieben,
und ich auch.                                                           Jamil

I

DIE FELDFAMILIE

PLÖTZLICH WAR DER FRÜHLING DA. Alles begann wieder von vorne und Jamil konnte es wieder kaum fassen:
erstens, weil er von Syrien her diese vier so klar unterscheidbaren Jahreszeiten nicht kannte. Eigentlich gab es da nur zwei, einen langen Sommer mit einer kurzen herbstlichen Ruhephase;
zweitens, weil er aus verschiedenen Gründen der Rückkehr aller Art eher skeptisch gegenüberstand und sich deshalb in seinem wohlverdienten Pessimismus erschüttert fühlte, wie ein Atheist, der immer wieder von göttlichen Wundern belästigt wurde. Darüber hinaus fand er es technisch schwer nachvollziehbar, besser: biologisch inkongruent, dass Pflanzenteile kommen und gehen konnten. Lieber glaubte er, der Frühling war schon immer da, nur hinter den Wolken der anderen Jahreszeiten verborgen.
Und noch etwas glaubte er, insgeheim: Dass das Tempelfeld eine Welt war, die Gott jeden Tag neu erschuf.

DEM TEMPELFELD GEHÖRTE DER HIMMEL DER GANZEN STADT, wenn nicht weit darüber hinaus. Es saugte ihn regelrecht auf, wie ein Trichter von unermesslichem Ausmaß, oder wie das festgefahrene Auge eines Wirbelsturms, auch wenn weder Sturm noch Wirbel tobten. Oder vielleicht war es genau umgekehrt und es war der Himmel, der mit seinen ständigen Licht- und Wolkenspielen, soweit die Sicht in alle Richtungen reichte, das Tempelfeld zu verführen suchte. Wie auch immer, hier, wo Jamil die Wiederkehr des Frühlings betrachtete, war der Ort, wo – sollte es tatsächlich je geschehen – der Himmel auf Erden, die Erde im Himmel sein wurde.

Jamil trank in aller Ruhe den Mate, den Santiago für ihn sebiert hatte – „Wieso wird jeder Begriff aus der IT-Branche automatisch aus dem Englischen übernommen und wir müssen uns für ‚cebar‘ mit ‚abfertigen‘ oder ‚bereiten‘ begnügen?“ –, als EIN VERWIRRTER auf sie zukam und irgendein Zeug quatschte, bevor er weiterging. Da sagte Santi:
„THC auf dem THF, vom Weed verblöd’t.”

Seinen Freund Santiago hatte Jamil bereits bei einer seiner ersten Erforschung des Feldes getroffen, ganz am Anfang der Pandemie, wie sie hieß, auch wenn sie sich nie bis ins Feld gewagt hatte, als hätte hier die Freiheit selbst ihren Lockdown absolviert. Maske hatten hier nur die Leute getragen, die vom Atmen die Schnauze voll hatten, denn so viel Luft wie im Tempelfeld konnten nicht mal die Menschen verpesten. Santi, wie er lieber genannt wurde, war in Argentinien geboren, sein Großvater mütterlicherseits war dorthin Mitte des letzten Jahrhunderts aus einer Gegend in Syrien eingewandert, die nicht sehr weit entfernt von Jamils Geburtsort lag. Jetzt wohnte Santiago in Berlin und hatte EINEN TRAUM: seine Lieblings-Rockband, die Redonditos de Ricota oder Ricottabällchen, im Tempelfeld spielen zu sehen. Santi meinte, sie würden in seinem Land so viele Leute zusammenbekommen, dass sie als einzige Band weltweit im Stande seien, das Tempelfeld kleinzukriegen. Auch wenn hier locker zehn Millionen Zuschauer reinpassten, ein Fünftel der argentinischen Bevölkerung
„Fünf Millionen kommen mit Sicherheit“, versicherte Santi sich selbst, „und die anderen fünf werden sich schon aus reiner Neugierde anschließen.“
Jamil hatte Gefallen an dem Projekt gefunden, weil es nicht realisierbar war und ihnen daher viel Zeit gewährte, einfach ihr Matebecher hin und her zu schieben, um mit einem Edelstahltrinkhalm Tee daraus zu saugen, eine unhygienische Gewohnheit schon vor der Pandemie, seitdem nur noch als selbstmörderisches Spiel aufzufassen. Als jahrtausendealtes Ritual, das zwei Ausländern aus den verschiedensten Ecken der Welt gleichzeitig das Heimweh linderte, ließ es sich allerdings nicht so einfach mit Russischem Roulette gleichstellen.

Nach ungefähr zwei Jahren war Jamil zum ersten Mal nicht mehr allein im Containerdorf. Elenya war wieder aufgetaucht. Sie hatte früher immer mit den Kindern gespielt, obwohl sie älter gewesen war. Niemand wusste genau, wie viele Jahre älter – wahrscheinlich nicht einmal sie selbst –, bis sie von der Polizei weggeschleppt wurde. Ihr Trick, sich in ihrer vermeintlichen Minderjährigkeit zu verstecken, war ihr nur eine Zeit lang gelungen.

Danach hatte Jamil nichts mehr von ihr gehört. Er wusste nicht, wie sehr ihn das verletzt hatte, bis er sie wiedersah. Es gab viele, die er nie wiedersehen hatte, eigentlich alle, aber einige vermisste er mehr als andere, ohne es zu wissen oder es sich einzugestehen. Wenn keiner dein Verwandter war, dann wurden alle zu Verwandten.

Jedenfalls war Vermissen ein Luxus, den er sich nicht leisten konnte, als seine nicht verwandten Verwandten nach und nach verschwanden. Aber jetzt, da eine von ihnen zurückgekommen war, wurde nur die Gleichgültigkeit zum Luxus, und er konnte nicht aufhören zu tänzeln vor lauter Freude. Dabei war Elenya nicht seinetwegen zurückgekommen, sondern weil sie sich immer noch auf der Flucht befand.

Damit es nicht so offensichtlich war, dass er ohne Familie geflüchtet war, wechselte Jamil damals ständig von der einen zur anderen, als wäre er nur zu Gast. Sogar unter den Flüchtlingen war er also ein Flüchtling, immer auf Wanderung, erst zwischen den Boxen im Hangar, dann zwischen den Containern im Dorf. Vor dieser ewigen Flucht konnte er erst fliehen, indem er blieb.

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Der Autor

Ariel Magnus wurde 1975 als Enkel deutsch-jüdischer Einwanderer in Buenos Aires geboren. Er studierte in Deutschland und schrieb über Literatur und Kultur für verschiedene Medien in Deutschland (taz, Spiegel Online) und Lateinamerika. Zurück in Buenos Aires begann er, als literarischer Übersetzer aus dem Deutschen zu arbeiten und als Autor zu publizieren. Inzwischen hat er mehr als zwanzig Romane veröffentlicht, die zum Teil international ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt wurden, darunter auch ins Deutsche. Seit einigen Jahren lebt er wieder als freier Schriftsteller und literarischer Übersetzer in Berlin. Die Verbliebenen vom Tempelfeld ist der erste Roman, den er direkt auf Deutsch geschrieben hat.

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