Vorschau

Dora Kaprálová

Winterbuch der Liebe

Das Winterbuch der Liebe ist als Antwort auf Eine Frau des ungarischen Autors Péter Esterházy entstanden. Dora Kaprálová hat als eine literarische und frivole Übung einen Winter lang jeden Tag einen kurzen Text über einen Mann geschrieben – beziehungsweise über männliche Objekte.

Aus dem Tschechischen von Nataša von Kopp

11,99 20,00 

11,99  E-Book
ISBN 978-3-948631-56-7
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ISBN 978-3-948631-55-0
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November 2024

Ich habe das Buch mit großem Vergnügen gelesen. Danke!“
Péter Esterházy

„Ironisch, provokativ und melancholisch.“
Falter

„Das Vergnügen, das im Erzählen stattfindet, geschieht in der Sprache: Es rebelliert gegen Klischees, ruhiges Dahinleben und lauwarme Gefühle. Es lacht mitfühlend über Männer, die nicht rebellieren wollen, aber vor allem wahrscheinlich über das Genre des Liebesgeständnisses.“
Ivana Myšková

„Dora Kaprálová ist eine außergewöhnliche Autorin. Radikale Zärtlichkeit, subtiler Feminismus, brutale Ehrlichkeit.“
Jáchym Topol

Inhalt: Sehnsucht

Die tschechische Autorin Dora Kaprálová erforscht mit sprachlicher Leichtfüßigkeit und spielerischer Dreistheit die Beziehung zum anderen, der sich ihr überall im Leben zeigt. Ein Kellner, der TV-Koch Jamie Oliver, ein Guinnessbuch-Rekordhalter, eine Jugendliebe, ein Formel-1-Rennfahrer, einer, mit dem sie zusammenlebt … Sie reagiert „als Frau“ auf die Blicke und Handlungen dieser nicht unbedingt attraktiven Figuren, und behauptet sich, indem sie ihren Blick zurückwirft. Das ist widerspenstig und erotisch gleichzeitig! Und sie stellt die Liebe, die oft auch dümmlich, verwerflich, unlogisch ist, über alles.

Freigeistig, flirtend, flirrend. Einfach ein großer Lesespaß.

Premiere

Freitag, 29. November, Lettrétage, Berlin, 20 Uhr
Buchpremiere mit der tschechischen Autorin Dora Kaprálová und ihrer Übersetzerin Nataša von Kopp. Lesung, Gespräch, Filmclips und Einladung zu böhmischem Bier.
Mit freundlicher Unterstützung des Tschechischen Kulturzentrums in Berlin

Es gibt einen Mann, ein Bohnenstangen-Männchen auf einem Stromkasten. Im Arizona-Äther. Er lehnt seinen vierzehnjährigen lockigen Kopf an meine Schulter, während sein Vater mit meiner Freundin hinter der Hauswand vögelt. … Fast nie schaut er mich direkt an, sondern erzählt stockend. Er erzählt, dass ihm seine Mutter in Sao Paolo Comics geklaut und für Haschisch eingetauscht hat. Er hat sich entschieden, zu seinem Vater zu gehen. Der Vater ist nett, an Gelbsucht erkrankt, aber ihm macht das nichts aus, er fasst ihn prinzipiell nicht an. Er würde gerne Informatiker werden, fährt gerne Ski und nein, er will kein peinlicher Nerd sein, eher möchte er Astrologe werden. Er ist auch Skifahrer, hat er mir das schon erzählt? Ein Komet fällt! Dann errötet er heftig und putzt einen nichtexistenten Fleck auf seiner Jeans. Aus seinem Rucksack holt er ein Foto aus der Skischule und einen ungültigen brasilianischen Geldschein aus dem Jahr 1985. Der ist für mich, auch das Foto gibt er mir. Es gibt einen Mann, er ist im Stimmbruch, er ist vierzehn und ist im Alter, in dem er breitbeinig steht, wie soll ich es sagen; sein Schritt ist impulsiv, ein Bein hier, das andere dort, etwas drückt und reizt ihn, er fängt mit einer Hand die andere Hand. Und er ist in einem Alter, in dem man nichtexistente Flecken auf der Hose putzt. In einem Alter, wenn Jungen beim Essen selten den Mund mit der Gabel treffen, falls sie beobachtet werden, wenn Akne mit fallenden Kometen um die Wette leuchtet, wenn sich Sterne in der Akne von Jungen mit Schnurrbärtchen widerspiegeln. Endlich kommen die beiden heraus. Ich möchte, aber schaffe es nicht, den Jungen zu küssen, der Blick auf sein Gesicht schmerzt mich. Ein Brief von meiner Freundin aus Sao Paolo kam heute an: Do you still remember T.? Poor guy. Unhappy life. He is dead. Ich mache die Schublade auf und suche das Foto. Es ist da. Ich sehe, wie T. Ski fährt, wie er auf den Skiern steht, wie er da drin ist, halb Kind, halb Mann, wie er nicht wackelt, wie er lächelt. Woher wissen wir eigentlich, dass das Leben nicht der Tod ist und der Tod nicht das Leben? Nicht viel, etwas. Für immer.

* * *

Es gibt einen Mann. Er liebt mich, er tyrannisiert mich, ich liebe ihn, ich quäle ihn. Die Feierlichkeit im Wiederholen. Und da gibt es einen Mann, geliebter Trottel, er hat mich eingekreist und ich ihn, es ist ein Mann. Wir  überleben.

* * *

Es gibt einen Mann. Er wirft mir vor, dass ich zu viel liebe. „Liebe ich dich zu viel?“, frage ich überrascht. „Nein, zu viel von allen anderen“, herrscht er mich aus der Küche an, wo er gerade eine Möhre schneidet. „Du hättest aufräumen können, hättest mir eine Mohrrübe in der aufgeräumten Küche schneiden können, aber du,“ hebt er die Stimme, „stattdessen schreibst du irgendwas, weil du: andere du liebst zu viel!“ Ich mag es, wie er die Wortfolge im letzten Satz verändert hat, es klingt herausfordernd.
„Du bist lieb“, sag ich versöhnlich, wenn auch jetzt eher unpassend vermutlich. Er fuchtelt mit einem gewetzten Messer vor meinem Gesicht, greift an. Er war gerade laufen, ein Athlet, Sportler, ist mein Mann Sportler, ich äffe ihn jetzt auch in seiner Wortfolge nach, so sehr beeinflusst er mich, so sehr l. ich ihn. „So sehr beeinflusst du mich“, sage ich noch. Er setzt die Klinge an meinen Hals, sie funkelt … „Und du hast eine so schöne, große Möhre.“, flüstere ich verängstigt.  „Sag, ist es eine Möhre oder eine Aubergine, und was ist das hier, Bergkette Ararat?“ Ich versuche, ihn für mich zu gewinnen, ich scherze, ich kitzele ihn, aber er lacht nicht, lacht überhaupt nicht, es ist ernst, er schneidet mich etwas in den Hals, es tut weh, aua. „Verstehst du nicht“, fange ich schließlich über diesen Küchenhass reuevoll an zu heulen, „verstehst du denn nicht“, fange ich mit echtem Bedauern zu weinen an, über all seinen Küchenhass, „verstehst du nicht“, röchele ich, „dass im ganzen Leben, immer und immer nur du? Das sage ich, das bezeuge ich dir, das schwöre ich, das bekenne ich, dafür schlage ich mich an die Brust, das lüge ich dir hier hilflos in der Küche vor den Töpfen vor. Und das alles nur, dass du überlebst, dass du lebst. Dass ich mit dir überlebe, und du mit mir … Du Trottel!“, ruf ich noch mutig aus meinem Zimmer, aber vorher drehe ich den Schlüssel im Schloss. So. Jetzt ist wieder Ruhe. Ruhe ist eingekehrt. Er erreicht ein paar neue Level. Ich schreibe ein paar Briefe. Es gibt einen Mann, und er ist es, es gibt einen Mann und er ist ein Mann. Na bravo! Die Erleichterung vom Ende ist grenzenlos.

* * *

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Die Autorin & die Übersetzerin

Dora Kaprálová wurde 1975 in Brno, Tschechien, geboren, und lebt mit ihren zwei Töchtern in Berlin. Die Journalistin und Autorin studierte Dramaturgie und Drehbuch an der Janáček Akademie für Darstellende Künste in Brno und veröffentlichte bisher eine Reihe von Texten über Migration, Integration, Exil, kommunistisches Erbe, tschechische und europäische Literatur und zeitgenössische Poesie. Ihre Arbeiten wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, davon zweimal mit dem deutsch-tschechischen Journalistenpreis (2016, 2017). Ihr Kinderbuch Herr Niemand und die weiße Finsternis (Balaena-Verlag, 2023) stand auf der Shortlist für das beste tschechische Kinderbuch. Im gleichen Verlag erschienen bisher auch ihr Berliner Notizbuch (2019) und der Erzählband Inseln (2021). Winterbuch der Liebe ist ihr Debüt bei mikrotext.

Nataša von Kopp wurde 1974 in Baden-Baden geboren und wuchs in Deutschland, Japan und der Tschechoslowakei auf. Seit 2008 arbeitet sie als unabhängige Filmemacherin, Fotografin sowie als Dozentin für Film und Filmgeschichte. Sie macht mit Kindern Film- und Fotoworkshops, vor allem an der Akademie der Künste in Berlin, und übersetzt seit einigen Jahren Literatur vom Tschechischen ins Deutsche.

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