Der Autor Jan Böttcher hat für die ZEIT Rumänien bereist, das Gastland der Leipziger Buchmesse 2018. Dort traf er auf die aktuellen rumänischen Autorinnen und Autoren, auch auf Lavinia Braniste und ihren Debütroman Null Komma Irgendwas:
Aber auch die jüngste Generation kann viel über Emigration erzählen. Mit Lavinia Braniște trinke ich abends Bier im Control, einem angesagten Bukarester Club, benannt nach dem legendären Song von Ian Curtis, in welchem er den epileptischen Anfall einer jungen Frau beschreibt. „Also wenn ich meine Heldin im Buch hier tanzen lasse“, sagt die Autorin kühl, „geht es auch nicht um Kontrolle, sondern um vorsätzlichen Kontrollverlust.“ Braniște ist 1983 geboren, wir sprechen über ihren Debütroman, Null Komma Irgendwas, den der Mikrotext-Verlag im Leipziger Buchfrühling vorstellen wird. Darin flüchtet eine Dreißigjährige vor ihren brotlosen Kulturjobs in die Baubranche, wird Assistentin in einem Büro, das staatliche Posten verteilt. Ihre Chefin ist selten mit ihr zufrieden, das Geld geht selten einen geraden Weg.
Was hat dieses Alltagsleben mit Emigration zu tun hat? Nun ja. Wie Lavinia Braniște selbst ist auch ihre Figur mit den Großeltern aufgewachsen, weil die Mutter kurzentschlossen nach Spanien zog, um im Touristikgewerbe zu arbeiten. Ein exemplarischer Fall, spätestens seit Wegfall der Visumspflicht 2002 leidet Rumänien unter Abwanderung und Braindrain. Was dem Roman ein langes Echo gibt, ist nun der Heimaturlaub der Mutter, die in einer Art emotionsloser Sorge erstarrt ist, während ihr Kind – immer schon auf sich allein gestellt – nicht mehr nach Träumen und Bedürfnissen schürft, sondern sein Leben darauf ausrichtet hat, im Bürojob zu funktionieren. Das ist stark erzählt. Noch immer kränkt man einander, hat aber mit der Unverzeihlichkeit der Trennung ebenso zu leben gelernt wie mit der kulturellen Kluft zwischen Spanien und Rumänien.